Freiformflächen für Deformationsmessungen

Albert GRIMM-PITZINGER, Stefan RUDIG

http://www.riegl.cn/terrestrial_scanners/3d_projects_/as_built_surveying/pdf/dam.pdf

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Zusammenfassung

      Der Hauptanwendungsbereich von terrestrischen 3D-Laserscannern liegt nach wie vor in der reinen Bestandserfassung. Mit der Weiterentwicklung der Geräte in den letzten Jahren können diese bereits für ingenieurgeodätische Anwendungen mit höheren Genauigkeitsanforderungen eingesetzt werden. Ein Laserscanner ermöglicht den Übergang von einer diskreten Punktverteilung zu einer flächenhaften Erfassung von Objekten, zum Beispiel im Rahmen einer Deformationsmessung. An die Stelle korrespondierender Punkte wie bisher üblich tritt die wesentlich höhere Informationsdichte der Fläche, was eine bessere Grundlage für die Beurteilung durch den Bauingenieur darstellt.
      Aus der großen Punktmenge eines Scans müssen zunächst Flächen abgeleitet werden, deren Begrenzung manuell oder teilautomatisiert gefunden werden kann. Für anschließende Berechnungen müssen die Flächen, die im Allgemeinen keiner Regelgeometrie genügen, analytisch beschrieben werden. Diese so genannten Freiformflächen werden im vorliegenden Artikel aus NURBS (non uniform rational B-Splines) generiert, die eine echte 3D-Modellierung erlauben. Der Vorteil gegenüber einer 2.5D-Darstellung liegt in der exakten Beschreibung gekrümmter Oberflächen beliebiger Raumlage und in der Möglichkeit, die generierten Objekte direkt für eine 3D-Visualisierung zu verwenden.
      Reales Testobjekt war eine Bogenstaumauer am Wörglerbach, die mit einem Laserscanner beidseitig flächenhaft erfasst wurde. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass durch Modellierung von Flächen aus den Punktwolken ein Genauigkeitsgewinn gegenüber dem gemessenen Einzelpunkt erreicht wird.


1 Theoretische Grundlagen


      NURBS (non uniform rational B-Splines) wurden zur Vereinheitlichung von inkompatiblen Einzellösungen als Geometriestand eingeführt und finden auf Grund ihrer Flexibilität im Bereich der dreidimensionalen Modellierung weltweit Verwendung. Ließen sich ursprünglich Kurventypen wie Kreise, Ellipsen, etc. mit Polynomen nicht darstellen, so konnten nun sämtliche Kegelschnitte durch rationale Funktionen wiedergegeben werden. Geometrisch betrachtet sind Kurven vektorwertige Funktionen eines Parameters und Abbildung einer Geraden in den dreidimensionalen Euklidischen Raum. Flächen sind Funktionen zweier Parameter und wiederum Abbildung eines Gebietes R der u,v-Ebene in den Raum. Eine nichtrationale B-Spline Fläche S(u,v) lässt sich in Tensor-Produkt Schreibweise wie folgt darstellen:

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      Die geometrischen Koeffizienten Pi,j sind die Punkte eines bidirektionalen Kontrollnetzes, die Ni,p(u) und Nj,q(v) sind die nichtrationalen B-Spline Basisfunktionen, die über den Knotenvektoren U und V definiert sind. Die Grade der Basisfunktionen p und q in den zwei Parameterrichtungen müssen nicht zwangsläufig identisch sein. Führt man in Gleichung (1) noch zusätzliche Gewichte w i,j ein, erhält man eine NURBS-Fläche S(u,v) zu

Ôîðìóëà 2

oder in abgekürzter Schreibweise mit Ri,j(u,v) als rationale Basisfunktionen zu

Ôîðìóëà 3


      Eine der wichtigsten Eigenschaften von NURBS-Flächen ist der so genannte lokale Einfluss. Die Basisfunktionen R i,j(u,v) sind gleich 0, wenn sich (u,v) außerhalb von [ui, ui+p+1[ x [vj, vj+q+1[ befindet. Veränderung eines Punktes Pi,j oder eines Gewichtes wi,j wirkt sich daher ebenfalls nur in diesem Intervall aus, was größtmögliche Flexibilität für die Modellierung bedeutet. Statt den Punktkoordinaten des R³ werden meist homogene, vierdimensionale Koordinaten verwendet und die vierte Koordinate als Punktgewicht betrachtet. Dadurch kann für die Berechnung im Wesentlichen der nichtrationale Ansatz verwendet werden, eine Rückabbildung liefert schlussendlich wieder Punkte des R³. Detailliertere Ausführungen dazu sind unter anderem in Piegl, T. [1] und Hoschek, J. [2] gegeben.
      Abbildung 1 zeigt beispielhaft die quadratischen B-Spline Basisfunktionen einer Parameterrichtung für sechs Kontrollpunkte, deren Beitrag zum Kurvenverlauf durch einen Wert zwischen 0 und 1 beschrieben wird. Da die Endbzw. Eckpunkte interpoliert werden, tritt an den Rändern jeweils der Wert 1 auf. Abbildung 2 zeigt eine biquadratische B-Spline Fläche mit dem dazugehörigen Kontrollpunktnetz.

Abb. 1: B-Spline Basisfunktionen; Abb. 2: B-Spline Fläche


2 Anwendung auf Messdaten


      Für die Berechnung von B-Spline Kurven oder Flächen aus einem Satz von Punkten sind die Kontrollpunte Pi bzw. Pi,j zunächst unbekannt. Es soll eine approximierende Fläche entstehen, deren Abstände zu den gegebenen Punkten minimiert werden. Nach der Methode der kleinsten Fehlerquadrate lassen sich zu gegebenen Messpunkten Q0,…,Qm die Kontrollpunkte P0,…,Pn bestimmen. Der einfache, nichtrationale Fall für eine B-Spline Kurve C(u) sei hier kurz dargestellt. Für m Messpunkte, n Kontrollpunkte und den Grad p der Kurve soll gelten: m>n und 1?p?n.

Ôîðìóëà 4


      Die Randpunkte werden interpoliert, daher sind Q0=C(0) und Qm=C(1). Für die restlichen Qk gilt:

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      Das Minimierungsproblem führt zu einem linearen Gleichungssystem, das um einen Strafterm zur Einhaltung einer vorgegebenen Fehlertoleranz oder einer angestrebten Glättung erweitert werden kann. Für die praktische Durchführung der Berechnung und Modellierung stehen Routinen von mathematischer Software ebenso zur Verfügung wie mehrere kommerzielle Software-Pakete. Vielfach wird die Erstellung von NURBS-Flächen in zwei Schritten ausgeführt. Zunächst werden B-Splines in einer Parameterrichtung definiert und anschließend in der anderen Parameterrichtung wiederum mit B-Splines zu einer Fläche komplettiert. Für Berechnungen mit höherem Genauigkeitsanspruch ist jedoch grundsätzlich einem gesamtheitlichen Lösungsansatz der Vorzug zu geben. Die Optimierung kann dabei in zwei Teile zerlegt werden, die iterativ und alternierend ablaufen. Zum einen wird bei festen Punktgewichten ein lineares least-squares Problem gelöst, zum anderen durch neue Gewichtsfaktoren die Zielfunktion weiter minimiert.

3 Testobjekt


      Etwa 5 km südlich der Stadt Wörgl im Tiroler Unterinntal wurde vom forsttechnischen Dienst der Wildbach- und Lawinenverbauung eine Staumauer zur Rückhaltung von Hochwasser und Muren errichtet. Die Länge der Krone beträgt ca. 40m, die sichtbare Höhe über dem Boden des Staubeckens ca. 25m (Abbildung 3). In der Mitte des Mauerfußes befindet sich ein Ablassrohr, das die im Rückhaltebecken gestaute Hochwasserspitze konstant an den Unterlauf abgeben soll. Die vertikal angebrachten Metallschienen sollen eine Verklausung des Rohres durch Geschiebe verhindern. Parallel zur behördlich vorgeschriebenen Kontrollvermessung von Punkten an der Krone wurde die Staumauer mit einem terrestrischen 3D-Laserscanner gesamtheitlich erfasst. Es handelte sich dabei um ein Gerät des Typs LMS Z360i der Firma Riegl Laser Measurement Systems. Bei einer Reichweite von bis zu 200m auf natürliche Ziele wird die Streckengenauigkeit mit 6 mm + 20 ppm für den gemittelten Einzelpunkt angegeben. Die Winkelauflösung von 0,002° entspricht etwa 5 mm in 50 m Entfernung. Das Gesichtsfeld von 90° vertikal und 360° horizontal wird zusätzlich von einer Digitalkamera erfasst, um die Messpunkte fotorealistisch mit dem entsprechenden RGB-Farbwert zu belegen. Als Gerätestandpunkte dienten zwei Messpfeiler, deren Entfernung zur Staumauer luft- und wasserseitig ca. 60 m beträgt.

Sperre Wörglerbach, Ansicht vom wasserseitigen Messpfeiler

Abb. 3 - Sperre Wörglerbach, Ansicht vom wasserseitigen Messpfeiler


      Die gekrümmte Oberfläche des gegenständlichen Objektes macht es unmöglich, die Deformationen in nur einer einzigen Koordinatenrichtung anzugeben, sondern es sind radiale Abweichungen zu bestimmen. Darin liegt der große Vorteil der echten 3D- Flächenmodellierung gegenüber der 2.5D-Darstellung, die in diesem Fall zu systematisch verfälschten Ergebnissen führen würde. Außerdem sind die modellierten Flä- chen gleichzeitig Teil der 3D-Visualisierung des Gesamtobjektes.

4 bisherige Ergebnisse


      Abbildung 4 zeigt die berechneten Freiformflächen der beiden Mauerseiten, die Luftseite konnte auf Grund diverser Sichthindernisse nicht zur Gänze erfasst werden. Nur Punkte mit Abweichungen von unter 1 cm auf die Fläche wurden für die endgültige Flächenberechnung akzeptiert, die verbleibenden Residuen zeigen keine systematischen Effekte. Die RMS-Werte (root mean square) für die Punktabstände betragen für die Wasserseite mit 23.500 Punkten rund 3 mm, für die Luftseite mit 14.000 Punkten rund 4 mm. In Abbildung 5 ist das Histogramm der Residuen bei der Be- rechnung der wasserseitigen Fläche dargestellt. Über den Punktabständen von 0 bis 5 mm zur Fläche wurden die jeweiligen Häufigkeiten in Prozent aufgetragen. Die ursprüngliche Genauigkeit des gemessenen Einzelpunktes betrug ca. 7 mm. Durch Ersetzen des Einzelpunktes mit einer analytisch beschreibbaren NURBS-Fläche konnte die Unsicherheit eines Flächenpunktes auf die Hälfte – etwa 3 mm – reduziert werden. In diesem Wert enthalten sind Anteile aus der vorhandenen Oberflächenrauhigkeit des Objektes sowie die Restfehler aus der Flächenberechnung.

Freiformflächen Staumauer, Wasserseite (links), Luftseite (rechts)

Abb. 4 - Freiformflächen Staumauer, Wasserseite (links), Luftseite (rechts)

Histogramm der Residuen aus der Flächenberechnung

Abb. 5 - Histogramm der Residuen aus der Flächenberechnung


      Da noch keine Folgemessung stattgefunden hat, konnten bislang keine realen Deformationen berechnet werden. Es wurden jedoch Messreihen auf verschiedenartige Testflächen durchgeführt und Objektbewegungen simuliert. Dazu wurde eine 2.5 x 1 m große Freiformfläche vor und nach einer Bewegung von 3 cm am linken Ende mit einem Punktraster von etwa 2 cm gescannt. Da die Fläche bei diesem Test nicht in einen Schlitten eingespannt werden konnte, wurden diskrete Punkte mittels Tachymeter kontrolliert. Die erhaltenen Abweichungen stimmen mit der Tachymetermessung überein, Abbildung 6 zeigt eine farbcodierte Darstellung des Ergebnisses.

Testfläche mit simulierter Deformation

Abb. 6 - Testfläche mit simulierter Deformation


5 Schlussbemerkung

      Die Berechnung von Freiformflächen liefert viel versprechende Ergebnisse bei der Anwendung für Deformationsmessungen. Punktunsicherheiten von ca. 7 mm aus der Laserscanner-Messung konnten durch Generierung von NURBS-Flächen auf ca. 3 mm halbiert werden. Gleichzeitig mit einer verbesserten Aussage über die Objektgeometrie sind die bisherigen Ergebnisse eine ausgezeichnete Grundlage für weiterführende Deformationsanalysen. Aus den analytisch beschreibbaren Flächen können neben der Berechnung von Normalvektoren und Krümmungen in jedem Punkt auch Differenz- modelle zwischen mehreren Epochen auf einfache Weise abgeleitet werden. Das vorgestellte Projekt befindet sich derzeit noch in Bearbeitung. Folgemessungen bei Halb- und Vollstau sind mit Einsetzen der Schneeschmelze im Frühjahr 2004 geplant bzw. bereits in Vorbereitung.
      Aus geodätischer Sicht sei noch anzumerken, dass sich die Anwendung von üblichen Kalibrierungsverfahren für Laserscanner eher schwierig gestaltet. In einigen Publikationen zu diesem Thema wurden zwar die Auswirkungen auf die resultierenden Punktkoordinaten aufgezeigt, ein Rückschluss auf gerätetechnische Ursachen bzw. bestimmte Bauteile gelingt meist nicht.


      Literatur


      1. Piegl, T., Tiller, W. (1997 ): The NURBS Book. Springer Verlag, Berlin
      2. Hoschek, J., Lasser, D. (1989): Grundlagen der geometrischen Datenverarbeitung. Teubner Verlag, Stuttgart
      3. Riegl Laser Measuremen Systems (2004): Spezifikationen des Laserscanners LMS Z360i, www.riegl.com
      4. DIN Norm 18710 (2002): Ingenieurvermessung, Teil 1 G undsätze, Teil 4 Überwachung. DIN Deutsches Institut für Normung e.V.,Beuth Verlag, Berlin