Piezoelektrischen Materialien

Richard M. Martin

 

 


Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Piezoelektrizit%C3%A4t


Grundlagen

 

 

Der Piezoeffekt kann nur in nichtleitenden Materialien auftreten. Weiterhin sind alle nichtleitenden ferroelektrischen Materialien bzw. Materialien mit permanentem elektrischen Dipol auch piezoelektrisch, beispielsweise Bariumtitanat und Blei-Zirkonat-Titanat (PZT). Jedoch verhalt sich nur ein Teil der Piezoelektrika ferroelektrisch. Bei Kristallen ist die Kristallsymmetrie ein weiteres Kriterium fur das Auftreten der Piezoelektrizitat. Die piezoelektrische Polarisation tritt nicht auf, wenn der Kristall ein Inversionszentrum besitzt. Bei allen 21 nicht-zentrosymmetrischen Punktgruppen kann Piezoelektrizitat auftreten, mit Ausnahme der kubischen Punktgruppe 432. Anders gesagt darf eine Elementarzelle kein Symmetriezentrum (= ein Punkt, an dem eine Punktspiegelung den Kristall in sich selbst uberfuhrt) besitzen. Das bekannteste Material mit Piezoeigenschaften ist Quarz (SiO2). Quarzkristalle besitzen die nicht-zentrosymmetrische Punktgruppe 32. Jedes Si-Atom sitzt in der Mitte eines Tetraeders aus vier Sauerstoffatomen. Eine in Richtung Grundflache-Spitze (Kristallografische Richtung: [111]) wirkende Kraft verformt nun diese Tetraeder derart, dass die zusammengedruckten Tetraeder elektrisch polarisiert sind und so auf den Oberflachen des Kristalls (in [111]-Richtung) eine Nettospannung auftritt. Technisch genutzte Materialien, die einen starkeren Piezo-Effekt als Quarz zeigen, leiten sich oft von der Perowskit-Struktur ab, z. B.: Bariumtitanat (BaTiO3). Die kubische Perowskit-Modifikation selbst besitzt die zentrosymmetrische Punktgruppe m3m und ist somit nicht-piezoelektrisch, das Material kann aber unterhalb einer kritischen Temperatur - die piezoelektrische Curie-Temperatur TC - in eine nicht-zentrosymmetrische Perowskit-Struktur ubergehen (rhomboedrisch/tetragonal, siehe Blei-Zirkonat-Titanat). Es zeigt dann eine spontane Polarisation und besitzt ferroelektrische Eigenschaften.

Der Stoffverbund der PZT-Keramiken (Pb, O, Ti/Zr) kristallisiert in der Perowskit-Kristallstruktur; unterhalb der piezoelektrischen Curietemperatur bildet sich durch Verzerrungen der idealen Perowskit-Struktur ein Dipolmoment aus. Bei keramischen Piezoelementen sind die internen Dipole nach dem Sinterprozess noch ungeordnet, weshalb sich keine piezoelektrischen Eigenschaften zeigen. Die Weissschen Bezirke oder Domanen besitzen eine willkurliche raumliche Orientierung und gleichen sich gegenseitig aus. Eine deutlich messbare piezoelektrische Eigenschaft lasst sich erst durch ein auseres elektrisches Gleichfeld aufpragen, wahrend das Material bis knapp unter die Curie-Temperatur erwarmt und wieder abgekuhlt wird. Die eingepragte Orientierung bleibt danach zum grosen Teil erhalten (remanente Polarisation) und wird als Polarisationsrichtung bezeichnet.

Als aktive Sensormaterialien werden zunehmend auch piezoelektrische Dunnschichten eingesetzt. Mit Hilfe von Halbleitertechnologien ist es moglich, diese aktiven piezoelektrischen Dunnschichten auf Silizium abzuscheiden. Hierbei handelt es sich meist um Zinkoxid (ZnO) oder Aluminiumnitrid (AlN). Der Kunststoff Polyvinylidenfluorid (PVDF) lasst sich – ahnlich wie piezoelektrische Keramiken – polarisieren und ist dann piezoelektrisch. Anwendungen hierfur sind z. B. Hydrophone. Das Drehen der Weissschen Bezirke durch die Polarisation fuhrt zu einer leichten Verzerrung des Materials sowie einer makroskopischen Langenzunahme in Polarisationsrichtung.

 

 

 

Zeichnung 1- Einpragen einer Polarisationsrichtung durch Ausrichtung der Dipole in einem elektrischen Feld


Anwendungen

 

 

Generell lassen sich die Anwendungen in drei Bereiche aufteilen:

1.                 Sensorik

2.                 Aktorik

3.                 Elektrische Bauelemente

Sensorik

Das Auftreten der piezoelektrischen Ladung bei mechanischer Verformung wird bei Kraft-, Druck- und Beschleunigungssensoren genutzt. Die dabei entstehende Ladung kann mit einem Ladungsverstarker in eine elektrische Spannung mit niedriger Quellimpedanz umgewandelt werden. Bei der anderen Moglichkeit, mit dieser Ladung einen Kondensator aufzuladen und dessen Spannung mit einem moglichst hochohmigen Voltmeter zu messen, konnen mangelhafte Isolationswiderstande beispielsweise durch Feuchtigkeit das Ergebnis stark verfalschen und die Registrierung langsamer Verformungen verhindern.

·                     In der Musik werden Piezoelemente als Tonabnehmer fur akustische Instrumente genutzt, hauptsachlich bei Saiteninstrumenten wie Gitarre, Geige oder Mandoline. Die dynamische Verformung des Instrumentes (Vibration des Klangkorpers) wird in eine geringe Wechselspannung umgewandelt, die dann elektrisch verstarkt wird.

·                     Bei piezoelektrischen Beschleunigungssensoren bzw. -aufnehmern kommt es bei einer mechanischen Deformation (Kompression oder Scherung) durch die Beschleunigung zu einer Ladungstrennung und damit zu einer abgreifbaren Ladung (bzw. Spannung) an den aufgedampften Elektroden.

·                     Bei Schwingquarzen kann der Einfluss verschiedener Grosen auf die Resonanzfrequenz, bei akustischen Oberflachenwellenbauteilen der Einfluss auf die Verzogerungszeit ausgenutzt werden. Eine wichtige Anwendung ist die Messung der auf dem Quarz aufgebrachten Masse, z. B. bei industriellen Beschichtungsverfahren zur Bestimmung der Schichtdicke. Es kann auch die Temperaturabhangigkeit der Schwingungsfrequenz gemessen werden; solche Schwingquarzthermometer sind jedoch nicht mehr im Handel.

 

 

Zeichnung 2 - Piezoelement zur Wandlung von mechanischem Druck in elektrische Spannung.

 

Aktorik

 

 

Piezoaktoren konnen nach zwei unterschiedlichen Kriterien unterschieden werden: nach Betriebsweise (quasistatischer oder Resonanzbetrieb) oder nach der Richtung des genutzten Effekts. Da Quer- und Langseffekt gleichzeitig auftreten, wird nach dem genutzten Effekt unterschieden.

Aus der Unterscheidung Transversaleffekt (Quereffekt) und Longitudinaleffekt (Langseffekt) ergeben sich drei verschiedene Grundelemente fur piezoelektrische Aktoren: der Dickenschwinger, das Querdehnelement und als besondere Bauform der Biegeschwinger (Bimorph). Dieser ist eine Kombination aus zwei Querdehnelementen. Eine entgegengesetzte Ansteuerung der Elemente bewirkt hier eine Verbiegung des Aktors, weshalb er eine eigenstandige Bezeichnung erhalt.

 

 

 

Zeichnung 3 - Piezoaktorische Grundelemente

 

Uber den Quer- und Langseffekt hinaus kann der Piezo durch Anlegen des elektrischen Feldes senkrecht zur Polarisationsrichtung auch eine Scherung erfahren. Dieser Effekt wird jedoch meist nur in akustischen Wandlern und Beschleunigungssensoren genutzt. Piezo-Lautsprecher In die Kategorie quasistatischer Betrieb fallen auch Aktoren, die im kHz-Bereich betrieben werden, solange der Resonanzfall nicht eintritt. Die hohe Genauigkeit und die grose Dynamik pradestinieren den Piezoaktor auch fur Positionieraufgaben und zur aktiven Schwingungsdampfung. Durch den Einsatz gestapelter Piezoelemente oder durch Hebel lassen sich die relativ kurzen Stellwege von ?l/l = 10?3 verlangern. Begrenzend auf die Stellwege wirken die Spannungsfestigkeit des Materials, die hohen Betriebsspannungen und die in eine Sattigung laufende Kennlinie des Materials. Typische Langenanderungen liegen bei Niedervoltelementen bei 0,1 µm, bei Hochvoltelementen bei ca. 1 µm. Sollen gro?ere Stellwege bewaltigt werden, bietet sich der Resonanzbetrieb an. Im Resonanzbetrieb wird der Rotor des Motors vom Piezo durch eine Wanderwelle angetrieben. Zusatzlich wird die Massentragheit des Rotors genutzt, um eine kontinuierliche Bewegung zu erzeugen. Damit lassen sich auch gro?ere Stellwege bewaltigen, wie z. B. in einem Objektiv (Optik). Als Beispiele fur die quasistatische Anwendung von Piezoaktoren seien genannt: Braillezeilen fur Blinde, bei denen durch Anlegen einer Spannung fur den Blinden tastbare Stifte hochgedruckt werden, womit am PC der Monitortext in tastbare Blindenschriftzeichen umgesetzt wird. Klassische Beispiele fur diese Betriebsform durften Tintendrucker (engl. Drop-on-Demand, z. B. von Epson) und Piezolautsprecher sein, bei denen die Schallwellen durch eine tonfrequente Wechselspannung erzeugt werden. Auch Dieseleinspritzsysteme arbeiten mit piezoelektrischen Aktoren (keramische Vielschichtbauteile mit Edelmetallinnenelektroden) und haben die Common-Rail-Technik verbessert. Dabei wird die Einspritzung von Diesel uber Ventile teilweise ersetzt. Seit 2005 werden auch beim Pumpe-Duse-System Piezoaktoren eingesetzt. Industrieunternehmen, die derartige Piezoaktoren in grosen Stuckzahlen fertigen, sind die Firmen Epcos und Bosch.


Weitere Anwendungen

 

 

Der Effekt findet Verwendung in:

1.     einem Piezofeuerzeug wird in einem Piezozunder ein plotzlicher gro?er Druck (Hammer) verwendet, um eine kurzzeitige hohe elektrische Spannung zu erzeugen. Die Funkenentladung zundet dann die Gasflamme.

2.     Aufschlagzundern wie beispielsweise in den Gefechtskopfen von Panzerabwehrwaffen (Panzerfaust/RPG-7)

3.     Piezomikrofonen (Kristallmikrofon)

4.     Buzzern (Summern)

5.     manchen Kopfhorern

6.     mikromechanischen Sensoren

6.1. Beschleunigungssensoren

6.2. Drucksensoren: beispielsweise als in die Fahrbahn eingelassener Sensor zur Verkehrsuberwachung (in Kombination mit den so genannten „Starenkasten“)

6.3. Kraftsensoren

6.4. Ultraschallsensoren zur Erzeugung und Detektion von mechanischen Schwingungen fur Durchfluss- und Fullstandsmessung (Prozessmesstechnik)

6.5. Schallkopfen von Ultraschallgeraten (Ultraschalldiagnosegeraten), zur Erzeugung und Detektion von mechanischen Schwingungen, fruher auch in Fernbedienungen

6.6. Klopfsensoren im Pkw

6.7. Ultraschallprufkopfen zur Erzeugung und Detektion von mechanischen Schwingungen fur die zerstorungsfreie Werkstoffprufung

7.     mikromechanischen Aktoren

7.1. Piezomotoren (Squiggler)

7.2. Ultraschallmotoren, z. B. fur die Objektivautofokussierung oder Uhrenantrieben

7.3. in Mikro- und Nanopositioniersystemen

7.4. in der Ventiltechnik

8.     Tonabnehmern

9.     elektroakustischen Verzogerungsleitungen wie beispielsweise in alteren PAL- oder SECAM-Farbfernsehgeraten

10. Batterieloser Funktechnik (Schaltern)

11. optischen Modulatoren

12. Zufuhrtechnik


Literatur:

Richard M. Martin: Piezoelectricity. In: Physical Review B. Jg 5, Nr. 4, Ridge NY 1972, S. 1607–1613.